Ariane Opitz

Erste Fassung eines Manifests für das Geistige in der Kunst

Ich möchte dieses künstlerische Manifest für alle diejenigen Künstler schreiben, die die letzten ca. 200 Jahre Menschheitsgeschichte als ein großes, neues, geistiges Erwachen der Menschheit wahrnehmen, welches in das neue Jahrtausend mündet.
Vor ca. hundert Jahren spricht Kandinsky von einem „schon begonnen Neubau des neuen geistigen Reiches“1. Er spricht von einem Geist, „der die Seele ist der Epoche des großen Geistigen“. Die Kunst als Träger einer inneren Kraft und Mittler zwischen einer inneren, geistigen Welt und einer irdischen, materiellen Wirklichkeit.
Goethe erklärte: „Der Künstler will zur Welt durch ein Ganzes sprechen: Dieses Ganze findet er aber nicht in der Natur, sondern es ist die Frucht seines eigenen Geistes, oder, wenn man will, des Anwehens eines befruchteten göttlichen Odems“2 Picasso näherte sich diesem Phänomen folgenermaßen „Etwas Geheiligtes, darum geht es. Man müßte ein Wort dieser Art gebrauchen können, aber es würde schief aufgefasst, in einem Sinn, den es nicht hat. Man müßte sagen können, daß ein bestimmtes Bild so ist, wie es ist, mit seinem Gehalt an Kraft, weil es „von Gott berührt“ ist. Aber die Leute nähmen es krumm.Und doch käme es der Wahrheit am nächsten.“
Um so mehr sich diese innere, schöpferische Kraft in die Menschheit mit all ihren neuen Erfindungen, Bewußtseinsveränderungen und Erweiterungen inkarnierte, um so mehr Zerstörung alter traditioneller Werte wurden schmerzlichst offensichtlich. Ein neues, weltweites Bewußtsein schiebt sich immer weiter vor und erschüttert jedes Individuum und die Menschheit als Ganzes. Die Kunst, wie auch die Wissenschaft, in ihrer Gabe „diese Welt des Seins zu erhöhen“3, ihre Kraft innere “Geheimnisse zu entschleiern, die im innersten Wesenskern aller erschaffenen Dinge verwahrt sind“ und „verborgene Wahrheiten“4 zu enthüllen bekommt daher in diesem gewaltigen, neuen, geistigen Entstehungsprozess der Menschheit eine entscheidenene Rolle. Statt mit manchen modernen Museen oft regelrechte Tempel des Materialismus zu errrichten, die nicht zur geistigen Öffnung, sondern zur weiteren Zersetzung des Individuums und damit der Menschheit beitragen, sollte die Kunst in dieser entscheidenen Phase der Menschheitsentwicklung dem geistigen Erwachen dienen. So ist für Kandinsky allein die „innere Stimme der Seele“ des Künstlers die maßgebende Instanz des Kunstschaffens.5
Allerhöchste Wirkkraft kommt dabei sicherlich den großen geistigen Seelen, den Offenbarern der Weltreligionen zu, die in der Menschheitsgeschichte als die großen Triebwerke eine immer voranschreitende Kultur entwickelt haben. Diese heiligen Worte, die durch diese erleuchteten Wesen geflossen sind, sollen als Hauptinspirationsquelle für solche Kunst dienen, die sich als Geburtshelfer einer neugeordneten, geistigen Weltkultur versteht.
So wie Schiller schon durch seine Schriften zur Ästetik verdeutlichte, ist die ästhetische Freiheit aber nicht frei von Gesetzen und nicht der Willkür unterworfen. Diese Gesetze erfahren nur keinen Widerstand und werden nicht als Nötigung sondern als Schönheit und Freiheit empfunden.6
Der Künstler als Mittler in dem Spannungsverhältnis des Vollkommenen und des Unvollkommenen, des Fernseins und Nahseins, des Geistigen und Irdischen, berichtet in seinem Kunstwerk sowohl vom Licht der Wiedervereinigung wie auch von dem Feuer der Trennung . Man könnte ihn als den „Engel aus Schnee und Feuer“7 bezeichnen, der damit einen Weg vorgibt, die die Suche der Seele nach Wahrheit vorantreibt. Somit ist ein Kunstwerk Zeugnis von einem Streben nach Erhabenheit und innerer Schönheit und damit der Meditation und dem Gebet gleichzusetzen.
Kandinsky erklärt, daß die innere Notwendigkeit, aus deren Antrieb der Künstler handeln sollte aus drei mystischen Notwendigkeiten gebildet wird:1. hat jeder Künstler, als Schöpfer, das ihm Eigene zum Ausdruck zu bringen (Element der Persönlichkeit), 2. hat jeder Künstler, als Kind seiner Epoche, das dieser Epoche Eigene zum Ausdruck zu bringen..., 3. hat jeder Künstler, als Diener der Kunst, das der Kunst im allgemeinen Eigene zu bringen...8 Später erklärt er, daß der Künstler als Diener höherer Zwecke fungiert, dessen Pflichten präzis, groß und heilig sind. Kandinsky verlangt, daß er sich vertiefen muß in die eigene Seele...damit sein äußeres Talent etwas zu bekleiden hat.9 Die Form des Werkes soll sich also an dessen Inhalt anpassen. Wenn dann der Künstler versunken in dem Brunnen seines eigenen Selbstes, Verwandlung und Läuterung erfährt und zu innerer Einheit mit sich und der Welt gelangt ist, wird er ein Diener und Wegbereiter der Einheit und Verbundenheit in einer mannigfaltigen Welt. Dadurch erhält die Kunst eine heilende, zum Geistigen führende Aufgabe.

Ariane Opitz
Moosach, 14.1.2007


1 aus „Über das Geistige in der Kunst“ S. 147
2 aus ÜdG S. 128 Kandinsky zitiert aus Goethes-Biographie Karl Heinemanns 1899, Bd. 2 S. 345
3 Bahá’u’´lláh, Brief an den Sohn des Wolfes S. 38-39
4 Bahá’u’´lláh, ziziert in Ziele der Kindererziehung 17f.
5 Aus „Kandinsky und Goethe“ S. 99
6 Aus „Über das Schöne und die Kunst“ Schiller s. 197, Anmerkung
7 Aus „Künstler, Sucher, Seher“ von Bahiyyih Nakhjavani
8 Aus ÜdG S.84
9 Aus ÜdG S.139

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